Neuere Forschungen und Dokumentationen zeigen, dass Vertreibung,
Zwangsemigration und Vernichtung von Jüdinnen und Juden, Sinti
und
Roma, Schwulen und Lesben und anderen im Nationalsozialismus Verfolgten
bis heute nachwirken. Sowohl die Nachkommen der TäterInnen
und
MitläuferInnen, als auch die Nachkommen der Überlebenden
kämpfen mit
den Effekten der Geschichte ihrer Eltern und Großeltern.
In den Familien beider Seiten wird über konkrete Ereignisse
und die
Involvierung der (Groß-)Eltern in diese meist wenig gesprochen.
Das
Schweigen hat jedoch vollkommen unterschiedliche Funktion und
Bedeutung. Während die Nachkommen der Überlebenden meist
um
dieErlebnisse ihrer (Groß-)Eltern wissen, sie jedoch zu ihrem
Schutz
oft nicht thematisieren, schweigen die Nachkommen der TäterInnen
und
MitläuferInnen über die Beteiligung ihrer (Groß-)Eltern
an Verbrechen,
um diese zu verdrängen und zu leugnen.
Was bedeutet die Geschichte der Shoah in der Gegenwart? Wie bearbeiten
wir diese Geschichte als Nachkommen von TäterInnen und MitläuferInnen?
Wie gehen wir als Nachkommen von Überlebenden mit dieser Geschichte
um?
Wo liegen die Unterschiede in der Aufarbeitung und Bewältigung?
Und was
wollen wir jeweils an zukünftige Generationen einer
postnationalsozialistischen Gesellschaft weitergeben? Das Programm
"Geteilte Gschichte" wird diesen Fragen an 4 Abenden mit
Filmen und
Diskussionen nachgehen.
Jo Schmeiser und Katarina Streiff
PROGRAMM I:
Montag 19. April 2004, 20 Uhr
Children of the Third Reich
Caterine Clay / BBC-Time Watch, UK 1993, 50 Min.,
engl., Video
Der Film dokumentiert ein mehrtägiges Treffen von Nachkommen
hochrangiger Nazifunktionäre mit Nachkommen von Überlebenden
der Shoah in Israel. Organisiert wurde dieses Treffen vom israelischen
Wissenschafter und Psychologen Dan Bar-On, der sich als einer der
ersten mit den Nachwirkungen der Shoah auf die Kinder und Enkelkinder
von Überlebenden der Shoah beschäftigt hat.
Anschließend Gespräch mit Eleonore Fischer, Lilly Habelsberger
und Lydia Mayr. Sie sind Teil einer Gruppe in Wien, die aus Nachkommen
von TäterInnen und Überlebenden besteht und sich vom Ansatz
Dan Bar-Ons ausgehend mit den Nachwirkungen des Nationalsozialismus
in den eigenen Familien auseinandersetzt. Eleonore Fischer ist Politikwissenschafterin,
Lilly Habelsberger ist Filmemacherin (1998 "Meine Zigeunermutter"
und 2003 "Ein Lied, dessen Worte ich längst vergessen
habe") und Lydia Mayr ist Ärztin und Psychotherapeutin.
Dienstag, 20. April 2004, 20 Uhr
One of Us (Eine von uns)
Susan Korda, USA 1999, 48 Min., engl. mit dt.
Untertiteln, Video
"One of Us" ist eine persönliche Untersuchung über
das Wesen der Deformation, der Gewalt und der familiären Zneigungen.
Anfangs wollte Susan Korda einen Dokumentarfilm über die deutsche
Identität drehen, dann beschäftigte sie sich jedoch immer
mehr mit der Geschichte deutscher Gewaltätigkeit und zog Parallelen
zu ihrer eigenen Familie: "Mich faszinierte die Frage, wie
sich 16 Millionen Menschen fühlen, die emigrieren, ohne ihr
Wohnzimmer verlassen zu müssen. Ich zog nach Berlin, war aber
nicht auf meine emotionale Reaktion auf diesen Ort, die Zeit und
die Erinnerungen vorbereitet, die mich dort erwarteten.
(Berlinale, Int. Forum des jungen Films)
PROGRAMM II:
Montag, 26. April 2004, 20 Uhr Mein
Leben 2. Teil
Angelika Levi, D 2003, 85 Min., dt., Video
Meine Mutter sammelte und archivierte ihre eigene Geschichte. Ich
habe
sie geerbt und daraus einen Film gemacht, in dem es vor allem um
Wahrnehmung, um das Vermächtnis und um den Umgang mit Geschichte
geht.
(Angelika Levi)
Schon bald zeigt sich, dass die Überlieferungen der Mutter
durch die
Filmemacherin so angeordnet werden, dass anhand dieses Archivs die
Frage gestellt wird, wo es nötig war, zu verdrängen und
zu verschieben.
Und wo etwas richtig gestellt werden muss: die Empfindlichkeit der
Großmutter, Mutter und Tochter gegen "deutsche Zustände",
gegen die
Definitionsmacht der Täter- und Mitläufergeneration und
deren
Nachkommen, denen das Privileg vergönnt zu sein scheint, nicht
über die
Vergangenheit der eigenen Familie nachdenken zu müssen. Eine
Empfindlichkeit, die von der Mehrheitsgesellschaft pathologisiert
wird,
um von sich abzulenken.
(Madeleine Bernstorff)
Dienstag, 27. April 2004, 20 Uhr
Das wirst Du nie verstehen
Anja Salomonowitz, A 2003, 52 Min., dt., Video
Anja Salomonowitz porträtiert drei Frauen aus ihrer Familie,
die während der NS-Zeit fast noch Mädchen waren. (...)
Hanka Jassy, ihre Großtante, hat Auschwitz überlebt.
Gertrude Rogenhofer, ihr Kindermädchen, war Sozialistin und
unterstützte ihren Onkel im Widerstand. Margit Kohlhauser,
die Großmutter, lebte während des Krieges in Graz. Sie
tat dort, was die meisten taten: nichts. (...) Im Zusammenschnitt
und in der Off-Stimme reflektiert die Filmemacherin die widersprüchliche
Aufgabe, gleichermaßen in der Genealogie des Opfer- wie des
Täterkollektivs zu stehen. (...) Sie stellt Fragen und ist,
wenn sie ihre Großmutter ins Bild setzt, ebenso sehr Enkelin
wie Nachkommende von Überlebenden.
(Nora Sternfeld)
Anschließend Gespräch mit Anja Salomonowitz und Patricia
Reschenbach,
die im Österreichischen Staatsarchiv in Wien ihren Familienhintergrund
recherchiert hat und von ihren Recherchen und Erfahrungen berichten
wird. Patricia Reschenbach ist Künstlerin und Kunstpädagogin.
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