Zwei Dokumentarfilme aus dem Jahr 1954, beide sind auf unterschiedliche
Weise mit österreichischen Schauplätzen verbunden:
Mitten im Kalten Krieg zeichnete Joris Ivens monumentaler Film
<Lied der Stroeme> das Panorama einer globalen Arbeiterbewegung.
Die Geschichte dieses Filmes beginnt in Wien, wo 1953 ein Kongress
des
Weltgewerkschaftsbundes stattfand. Als der fertige Film ein Jahr
später in einer von Anti-Kommunismus geprägten Atmosphäre
in Wien gezeigt wurde, produzierte der Österreichische Friedensrat
gerade einen kurzen Film gegen Militarismus und Kriegsverherrlichung.
<Schatten über unserer Heimat>,
der seit den 50er-Jahren nie mehr aufgeführt wurde, fasziniert
heute durch Aufnahmen, die das Klischee der statischen 50er-Jahre
konterkarieren: Statt österreichischer Walzerseligkeit zeigt
er Aufmärsche des Kameradschaftsbundes und Kundgebungen gegen
diese Soldatentreffen. Beide Filme überraschen
heute durch ihre alternative Sicht auf die unmittelbare Nachkriegszeit,
deren Deutung im <Gedankenjahr 2005> zur Debatte steht.
Sie zeigen die Epoche des Kalten Krieges als eine Zeit heißer
Auseinandersetzungen, international und in Österreich. Das
Klima in Österreich war von Kalten Kriegern und einem rigiden
Antikommunismus geprägt. In der Phase vor Abschluss des Staatsvertrags
richtete sich die Politik der Bundesregierung und der West-Alliierten
gegen einen befürchteten Anschluss an den Sowjet-Block, während
die Linke gegen Anschluss-Bestrebungen an West-Deutschland agitierte.
Die beiden Filme widerspiegeln die Tatsache, dass Wien zwischen
1950 und 1955
zum Treffpunkt einer internationalen Friedens- und Gewerkschaftsbewegung
geworden war. Unter der Schirmherrschaft der sowjetischen Besatzungsmacht
entfalteten der sich als überparteilich verstehende Weltfriedensrat
und der kommunistisch dominierte Weltgewerkschaftsbund eine rege
Tätigkeit. Anlässlich eines solchen Kongresses titelte
die Österreichische Friedenszeitung: <Das Herz der Welt
schlug in Wien>. Auch Jean-Paul Sartre war 1952 beeindruckt:
<Was ich in Wien gesehen habe, ist der Friede>. Die Bundesregierung
boykottierte diese Aktivitäten systematisch, die westlich orientierten
Medien befolgten eine <Schweigefrist> während dieser
Kongresse. SPÖ-Innenminister Oskar Helmer fürchtete eine
<kommunistische Infiltration der Intellektuellen>, die tendenziell
<zuerst umfielen> und für <politische Sachen am empfänglichsten
waren.> (Karin Moser: 2001)
Die Remilitarisierung Österreichs im Rahmen des Kalten Krieges
verhinderte einen tatsächlichen Bruch mit den Einstellungsmustern
und Verhaltensdispositiven aus der NS-Zeit. Im Dezember 1954 –
fast im
selben Moment, als die beiden Filme in Wien zu sehen waren –
erklärte der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Alfons Gorbach
im Parlament: <Man muß den Sinn der Opfer anerkennen, die
die deutschen und österreichischen
Soldaten im Zweiten Weltkrieg gebracht haben. Von der Stunde an,
da Rußland in den Krieg eintrat, war es für jedermann
klar, daß die Niederlage Deutschlands in diesem Krieg die
völlige Bolschewisierung Deutschlands und Österreichs
zur Folge haben könnte, und deshalb haben die Frontsoldaten
im Osten den Kampf um die Würde und Freiheit des Menschen geführt.
Hier kommt uns nur eines zu, in Ehrfurcht unser Haupt zu neigen.>
(Die Österreichische Volksstimme, 4.12.1954) Wenige Tage darauf
wurde Gorbach das goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich
verliehen.
Schatten über unserer Heimat
Regie: Frank W. Rossak. Produktion: Österreichischer
Friedensrat.
A 1954/55, 19 Minuten, 16 mm, s/w.
Der Film beginnt m itidyllischenBildernausÖsterreich.DieWundendesKrieges
scheinen wieder geschlossen. Doch wer wachsam ist, weiß, daß
er zwar heute wieder ruhig schlafen kann, ohne von Sirenen geweckt
zu
werden. Aber wie lange noch? Vor unseren Augen wird offensichtlich
ein neuer Krieg vorbereitet – auch hier in Österreich.
Der Film zeigt das auf vielerlei Arten: Kriegsliteratur in unseren
Buchläden, militärische Bauten auf österreichischem
Boden, vor allem aber das Wiederaufleben militaristischen Treibens.
Überall werden
Kriegerdenkmalfeiern und Kameradschaftstreffen abgehalten, bei denen,
wie der Film zeigt, nicht nur Österreicher mit ihren Auszeichnungen
aus dem Hitler-Krieg geschmückt aufmarschieren, sondern an
denen auch
wiederholt unerwünschte Gäste aus Westdeutschland teilnehmen,
nicht selten Kriegsverbrecher, die noch gar nicht lange wieder auf
freiem Fuß sind.> So beschrieb im März 1955 die Österreichische
Friedenszeitung, das Organ des österreichischen Friedensrates,
den Film. <Sehr geschickt blendet der Film immer wieder Szenen
aus den
30er Jahren abwechselnd mit solchen aus der Gegenwart ein, sodaß
die Ähnlichkeit der vorbereitenden Situationen der beiden Zeitperioden
erschreckend deutlich wird.> Die Stimme des Off-Kommentars wendet
sich von Beginn an direkt ans Publikum: <Geht es nicht auch Dich
an?
– Es ist dein Land!> Seine anti-militaristische Rhetorik
ist
wesentlich gefärbt von einem starken Österreich-Patriotismus.
Die <Schatten>, die <über unserer Heimat> liegen,
rühren aus der Vergangenheit, die von deutschen Wehrmachtsgenerälen
wie dem Bundestagsabgeordneten Hasso von Manteuffel oder Albert
Kesselring, dem Führer des westdeutschen Soldatenbundes <Stahlhelm>,
wieder zum
Leben erweckt werden sollte. Der Film stellt die Aktivitäten
der überparteilichen Friedensbewegung, sie ist <das Gewissen
Österreichs>, dagegen: Katholikinnen und Katholiken, Sozialistinnen
und Sozialisten, Kommunistinnen und Kommunisten, Parteilose, ehemalige
<KZler>. Polizisten nehmen Demonstranten ihre Soldatengrabkreuze
aus Pappe ab. Anlässlich einer Kundgebung von <Salzburger
Frauen gegen Anschlusspropaganda und Soldatentreffen> am 29.
Mai 1954 spricht bei strömendem Regen die Halleiner Widerstandskämpferin
Agnes Primocic, die heuer übrigens ihren 100. Geburtstag feierte,
leider übertönt vom Off-Kommentar.
Einleitendes Gespräch mit Peter Schauer, geb. 1930, Präsident
des Österreichischen Verbandes der Filmarchivare, ehemaliger
Lehrbeauftragter für Filmgeschichte an der Filmakademie Wien.
Peter Schauer war letzter Produktionsleiter der Pax-Film, der Produktionsfirma
des 1957 verstorbenen Frank W. Rossak. Er hat an der
Wiederentdeckung von SCHATTEN ÜBER UNSERER HEIMAT maßgeblichen
Anteil und wird über die Filmarbeit des Friedensrates sowie
den Produktionskontext des Filmes berichten.
Lied der Ströme
Regie: Joris Ivens (Mitarbeit: Joop Huiskens,
Robert Menegoz). Buch: Vladimir Pozner, Joris Ivens. Kamera: Erich
Nitzschmann sowie anonyme Kameraleute aus mehr als 30 Ländern.
Kommentar: Vladimir Pozner.
Musik: Dmitri Schostakowitsch. Musiktext: Bert Brecht, Semion Kirsanov.
Gesang: Paul Robeson. Produktion: DEFA – Studio für Dokumentarfilme,
World Federation of Trade Unions (W.F.T.U.).
DDR 1954, 107 Minuten, 35 mm, s/w, deutsche Fassung.
<Lied der Ströme> ist ein wahrhaft epischer Film über
die sechs großen Ströme der Erde und ihre Anwohnerinnen
und Anwohner: Nil, Ganges, Mississippi, Amazonas, Wolga und Yang-Tse.
Dazu die Mitarbeit der Schriftsteller Bert Brecht und Wladimir Pozner,
der Sänger Paul Robeson und Ernst Busch, des Komponisten Dmitri
Schostakowitsch und von Kameramännern aus über 30 Ländern.
Ivens besingt in einem visuellen Gedicht die Handarbeit, schildert
die Lebensumstände der an den Flüssen lebenden Arbeiter
und Bauern verschiedener Kulturen, die unter der Last des Kapitalismus
leiden, die aber gemeinsam einen siebten Strom bilden: den Strom
der Arbeiterbewegung, der an Wolga und Yang-Tse bereits Früchte
trage. <Lied der Ströme> stellte der Metaphorik einer
in unversöhnliche Blöcke gespaltenen Welt das affektive
Bild einer alle Grenzen überwindenden, zusammenfließenden
Menschheit entgegen. Narrativer Ausgangspunkt war ein Kongress des
Weltgewerkschaftsbundes im Wiener Konzerthaus im Jahr 1953. Eine
megalomane DEFA-Produktion, von der 18 Sprachversionen entstanden
und
der angeblich von 250 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern gesehen
wurde. Legendär sind die Schwierigkeiten, mit denen Kameraleute
aus Diktaturen beim Filmen konfrontiert waren, manche Filmrolle
fand
unter abenteuerlichen Umständen ihren Weg auf Ivens’
Schneidetisch. In den USA war der Film jahrzehntelang als »kommunistische
Propaganda« verboten, in England und Frankreich wurde nur
eine zensierte Fassung gezeigt.
Einleitendes Gespräch mit Thomas Tode, geb. 1962, Filmemacher
und freier Publizist, Hamburg. Herausgeber von: Johan van der Keuken:
Abenteuer eines Auges (1987); Chris Marker - Filmessayist (1997);
Dziga Vertov - Tagebücher / Arbeitshefte (2000). Im Gespräch
mit Thomas Tode wird es darum gehen, <Lied der Ströme>
einerseits
zeitgeschichtlich und dokumentarfilmhistorisch zu kontextualisieren
und andererseits die Bedeutung des Films im Werk Joris Ivens' herauszustellen.
Links:
Filmarchiv Austria
http://www.filmarchiv.at
European foundation Joris Ivens
http://www.ivens.nl
PDF: Utopian Visions in Cold War Documentary: Joris Ivens, Paul
Robeson and Song of the Rivers (1954) by Charles Musser http://www.erudit.org/revue/cine/2002/v12/n3/000738ar.pdf
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