Öffentliche Hinrichtung
Buch und Regie: Zelimir Zilnik, BRD 1974, dt.
Originalversion, 9 Minuten, VHS.
Paradies - Eine imperialistische Tragikomödie
Buch und Regie: Zelimir Zilnik, Kamera: Andrej
Popovic, Darsteller: Michael Straleck, Dan van Husen, Gisela Siebauer,
Natasa Stanojevic, Filiz Jakub. BRD 1976, dt. Originalversion, 65
Minuten, VHS.
Zwei der Filme, die der jugoslawische Filmemacher Zelimir Zilnik
als Gastarbeiter in Westdeutschland drehte, nachdem er wegen "Rani
Radovi" ("Frühe Werke") in Jugoslawien in Ungnade
gefallen war. "Öffentliche Hinrichtung" montiert
polizeiliches Dokumentationsmaterial und setzt sich mit der Eskalation
von Gewalt am Beispiel einer Geiselnahme nach einem Banküberfall
auseinander. Im "Paradies" ist es die Konzernchefin selbst,
die aus
unternehmensstrategischen Gründen ihre Entführung durch
eine anarchistische Gruppe inszeniert. Zilniks filmische Parodie
auf die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz durch die
Bewegung 2. Juni ist eine leichtfüßig-poetische Demontage
des staatsdienlichen Stadtguerillamythos und damit noch viel staatsfeindlicher
als das
paranoid verfolgte Sympathisantentum: Das in Terrorismushysterie
verfallene deutsche Establishment ertrug Zilniks
anarchisch-analytischen Humor so wenig, dass er wegen des Filmes
aus der Bundesrepublik ausgewiesen und mit einem Aufenthaltsverbot
belegt wurde.
In Anwesenheit von Zelimir Zilnik.
Ein Gastarbeiter im Paradies
kinoki-Interview mit Zelimir Zilnik, September 2005
Fragen: Tina Leisch und Ljubomir Bratic, Übersetzung: Jasmina
Jankovic, Redaktion: Peter Grabher
Wann und warum bist du in die Bundesrepublik Deutschland gegangen?
Im Herbst 1973. Schon fünf Jahre lang waren meine Filme in
Frage gestellt worden: Zuerst wurden meine Dokumentarfilme „Nezaposleni
ljudi“ („Die Arbeitslosen“, 1968) und „Lipanjska
gibanja“ („Juni-Aufruhr“, 1969) zensuriert, dann
fand der Gerichtsprozess gegen „Rani radovi“ („Frühe
Werke“, 1969) statt. Und im Jahr
1972, in der allgemeinen Kampagne gegen den neuen jugoslawischen
Film, der als „Schwarzfilm“ bezeichnet wurde, wurden
alle Filme, die ich bis dahin gemacht hatte, aus dem Vertrieb zurückgezogen.
Die Produktion meines zweiten Langspielfilms „Sloboda ili
strip“ („Freiheit oder Comicstrip“) wurde gestoppt.
Die Sozialversicherung teilte mir mit, dass ich, „da ich nicht
mehr als Künstler öffentlich wirke“, auch keine
Sozialversicherung haben kann. Daraufhin ging ich den gleichen Weg,
den in diesen Jahren hunderttausende Arbeitslose aus Jugoslawien
gingen - ich wurde
Gastarbeiter.Ich dachte, ich werde irgendeine Arbeit finden, und
vielleicht wird es mir gelingen, auch Filme über diesen Massenexodus
zu machen. Deutschland wirkte für mich herausfordernd aus noch
zwei Gründen.
Erstens: Kapitalismus und Sozialismus, Marxismus und Faschismus
sind aus diesem Land während des 20. Jahrhunderts auf den Balkan
„übergelaufen“. Zweitens: Die Selbstzerstörung,
in die Deutschland im Ersten und besonders im Zweiten Weltkrieg
gesunken ist, brachte mich zum Nachdenken über diese selbstzerstörerische
Energie, die mit einer ähnlichen Dosis von Narzismus versetzt
war, wie ich sie in unmittelbarer Nähe, im Realsozialismus,
beobachtet habe - besonders nach 68.
Wie waren die Arbeitsbedingungen für dich als „filmischer
Gastarbeiter“? Konntest du in der BRD gleich Filme machen
oder mußtest du erst Teller waschen und Straßen kehren?
In den ersten Wochen habe ich mit meinem Freund Andrej Popovic
Autos repariert. Wir sind an die Münchener Uni in Schwabing
gegangen und haben an der großen Anzeigentafel geschaut, wer
eine Reparatur von Getrieben und Bremsen sucht. Andrej hatte früher
in Heidelberg studiert und arbeitete für mich als Kameraassistent.
So fühlte ich
mich mit ihm nicht verloren in Deutschland. Wir kannten auch einige
Kritiker und Fernsehredakteure, da ich mit meinen Kurzfilmen schon
einige Preise in Oberhausen bekommen hatte, sogar den Großen
Preis für „Die Arbeitslosen“, sowie den Goldenen
Bären in Berlin für „Frühe Werke“.Wir
erfuhren, dass zu dieser Zeit in Deutschland Nachfrage nach Kurzfilmen
bestand, die dann in den Kinos als „Pflichtprogramm“
vor den Spielfilmen gezeigt wurden. Und wenn der Kurzfilm von der
Bewertungsstelle das Prädikat „besonders wertvoll“
oder „wertvoll“ bekam, war der Vertreiber von der Steuer
befreit. Für die Bewertung „besonders wertvoll“
bekam der Produzent vom Fonds
eine sehr stimulierende Prämie extra, ich glaube das waren
damals etwa 30.000 Mark. So haben wir nach ein paar Wochen Dokumentarfilme
gedreht. Zuerst über Gastarbeiterthemen - „Antrag“,
„Hausordnung“, „Inventur“, „Abschied“.
Alle Filme waren produktionstechnisch einfach, fast minimalistisch,
da die Produzenten immer betont haben, dass sie „das Geld
aus ihrer eigenen Tasche geben“.
Was war der Anlass für dich „Öffentliche Hinrichtung“
zu drehen?
In den Nachrichten des deutschen Fernsehens sah ich oft „Polizeiaktionen
gegen die Stadtguerilla“. Manchmal sah es aus wie in einer
Filmszene: Das Team kommt, die Scheinwerfer werden eingeschaltet,
dann die Kameras. Dann werden die Verdächtigen aufgefordert,
herauszukommen, und dann wird auf sie geschossen.Später wurde
herumerzählt, dass Andreas Baader und Gudrun Ensslin getötet
wurden, indem sie aus ihren Zellen herausgebracht wurden, als das
Flugzeug entführt wurde, um ihre Freilassung zu erzwingen.
Diese Version lautete: Die beiden seien zum Flughafen Entebbe in
Afrika gebracht worden, wo ihnen erlaubt worden sei, ins Flugzeug
ihrer Anhänger hineinzukommen. Dann hätten die Polizeikommandos
das Flugzeug gestürmt und ziemlich viele Menschen erschossen
- unter ihnen auch die zwei Gefangenen aus Stammheim. Diese „Gerüchte“
haben nicht irgendwelche Clochards und Säufer verbreitet, sondern
unter anderem Jean-Paul Sartre und Schily, der heutige Innenminister
Deutschlands, damals ein Rechtsanwalt und „radikal engagiert
im Kampf für Menschenrechte“.
Wie hast du das gesellschaftliche Klima und insbesondere die Diskussionen
in der westdeutschen Linken erlebt?
Ich war im Kreis um den Filmverlag der Autoren in München.
Damals waren da Kluge, Reitz, Ulla Stockl, Werner Herzog, Brustellin,
Sinkel - Syberberg kannte ich auch. Fassbinder haben wir eingeladen,
die männliche Hauptrolle in „Das Paradies“ zu spielen,
und die weibliche Hauptrolle war für Hanna Schygulla vorgesehen.
Der Film
wurde für Telepool aus München vorbereitet, eine Firma,
die mit dem Bayerischen Fernsehen verbunden war. Aber ein paar Wochen
vor dem Beginn der Dreharbeiten verloren die Sozialdemokraten die
Macht in München, der Direktor von Telepool wurde abgesetzt
und das Filmbudget drastisch reduziert, sodass der Film unter underground-Bedingungen
gemacht wurde, ohne die Möglichkeit, normale Honorare zu zahlen.Ich
kann „das Klima“ nicht präzise beurteilen - aber
ich spürte bei Filmautoren positive Energie, auch die Ambition
und den Wunsch, eine Kontinuität mit den klassischen Filmen
Deutschlands herzustellen. Aber man spürte auch einen gewissen
Konformismus, das
Vermeiden von polemischen Themen. Was die Linken direkt betrifft,
so hatte ich viele Diskussionen und habe versucht, mit einigen zusammenzuarbeiten,
z. B. mit dem „Theater K“ aus München. Wir sind
aber auseinander gegangen, da sie einen dogmatischen Zugang hatten,
ohne auf Lebenserfahrungen Rücksicht zu nehmen. Nach einigen
Proben scheiterte das Projekt „Gastarbeiter der Oper“.
Später habe ich dieses Projekt im Theater in Novi Sad realisiert.
Wie bist du auf die Idee gekommen, in deinem Film „Paradies“
eine Konzernchefin zu erfinden, die ihre Entführung durch Terroristen
inszeniert?
Das entstand in jener Atmosphäre, die ziemlich heiß
und hysterisch war. Die Medien haben berichtet, dass der Abgeordnete
der Christdemokraten aus Berlin, Lorenz, 14 Tage als Geisel der
Terroristen verbracht, diese dann überlistet und dank seiner
Tapferkeit und Schlauheit es geschafft hat, sich zu befreien. Er
machte eine große Kampagne darüber. Die Wortwahl glich
ungewöhnlich diesen bürokratischen Parolen, die ich nur
einige
Jahre früher hörte, als die sozialistischen Apparatschiks
„mit den Feinden abrechneten“ und sich selbst als Propheten
„des unumgänglichen historischen Progresses“ darstellten.
Wie waren die Reaktionen auf diesen Film? Von Behörden und
Institutionen? Von Seiten der Linken?
Der Film wurde zur Bewertungsstelle geschickt und von dort bekamen
wir die Mitteilung, dass ihn vorher die „Freiwillige Selbstkontrolle“
- von der wir gar nicht wussten - gesehen und festgestellt hat,
dass der Autor die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse
in der BRD nicht versteht.Die Premiere war in München, im Werkstattkino,
Ende Frühling 1976. Sehr gespannte Stimmung, schon während
des Films und besonders am
Ende. Alle haben mit dem Kopf geschüttelt, und viele sind leise
weggegangen. Später hat die Polizei mich und Andrej verhört,
ob wir Kontakte zur „Rote Armee Fraktion“ hätten.
Bei der Durchsuchung wurde nichts gefunden, aber wir haben unsere
Steuerpapiere während der Filmproduktion verschlampt, und so
bekamen wir den Bescheid,
Deutschland innerhalb von zwölf Stunden zu verlassen.
Was war dein Eindruck von den bewaffneten Aktionen der Stadtguerillagruppen?
Diese Sache muss man in einen realen Kontext stellen. Und der Kontext
ist der Druck der „Restauration“, der im Westen nach
68 entstanden ist. Die Hoffnung, dass die Hierarchie erschüttert
wird und dass Änderungen geschehen werden, war erloschen. Lügen
und Manipulationen sind wieder zur Sprache der politischen Klasse
geworden. Erinnert euch, wie in den USA, wo die Politik doch am
offensten ist, Präsident Nixon beim Lügen, Betrügen
und Fälschen ertappt und deshalb abgesetzt worden ist. Und
in Deutschland hat die Ideologie des „humanen“ Prosperitätskapitalismus,
des Wirtschaftswunders den Punkt auf das Hinterfragen der faschistischen
Vergangenheitserfahrung gesetzt. Und es kam zu wenigen verzweifelten
Reaktionen. Übrigens denken wir heutzutage alltäglich
über unzählige destruktive Vorfälle nach, vom Irak
bis Madrid und London.
Welche Möglichkeiten stehen heutzutage für einen sozialen
Kampf noch offen und was kann die Rolle der Künstler und Künstlerinnen
dabei sein?
Meine Erfahrungen sind ziemlich optimistisch. Wenn man sich dazu
entscheidet, einfache Produktionen zu machen, ohne große Budgets
und zu jenen Themen, die der Mainstream-Film meidet, kann man „ein
anderes Publikum“ finden, das dich auch versteht. Ich glaube,
dass das ganze Medium „der bewegten Bilder“ neue Räume
erobert, dank
der digitalen Technologie und des Internets. In einigen Jahren wird
die Hollywood-Produktion von Kriegs- und Action-Spektakeln als ein
Medium betrachtet werden, das eher dem Zirkus oder einer Tanzsession
um eine Stange in einer Nachtbar ähnelt.
Link:
Zelimir Zilniks Homepage
http://www.zelimirzilnik.net/
|